Älteste ingenieurwissenschaftliche Fakultäten an einer Universität Deutschlands feiern in Rostock 70-jähriges Jubiläum

Der Große Hörsaal wurde 1960/61 fertiggestellt, erst nach der Wende kam der behindertengerechte Zugang (Schräge) hinzu. (Fotos (2) Universität Rostock).
Das Foto zeigt das Sektionsgelände 1971. Vermutlich aus einem der Hochhäuser in der Rostocker Schlesinger Straße aufgenommen. Von links nach rechts: Statikhalle mit Statikgebäude, Strömungshalle, Großer Hörsaal. Den Schornstein gibt es nicht mehr.
Professor Bert Buchholz. (Foto: Universität Rostock/Thomas Rahr)

Zwei Fakultäten der Universität Rostock – die Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik und die Fakultät für Informatik und Elektrotechnik – begehen am 29. Oktober ein gemeinsames Jubiläum. Als älteste ingenieurwissenschaftliche Fakultäten an einer deutschen Universität feiern sie ihr 70-jähriges Bestehen.

Der Anlass für die Gründung damals sei wirtschaftliche Notwendigkeit gewesen, sagt der heutige Dekan Professor Bert Buchholz. „In der DDR gab es zwar Werften für den Bau von Schiffen, aber keine Einrichtung für die Ausbildung von entsprechenden Ingenieuren mit Hochschulabschluss“, blickt der 50-jährige Forscher zurück. Es sei darum gegangen, die Industrie aufzubauen und zu stärken. Anfänglich wurden viele Schiffe für die Sowjetunion gebaut, die einen großen Bedarf hatte. Später wurden Schiffe und Ausrüstungen in die ganze Welt geliefert.

Mit 97 Studenten im Sommersemester 1951 startete die damalige Technische Fakultät für Schiffbau. Im Wintersemester waren es 100. Heute sind es jeweils etwa 1.400 junge Leute in den verschiedenen Studiengängen beider Fakultäten. „Unsere aktuelle Auslastung ist gut, wir wollen aber mehr um Studierende werben und zukünftig wieder wachsen“, betont Professor Buchholz, der auch Inhaber des Lehrstuhls für Kolbenmaschinen und Verbrennungsmotoren ist. „Unsere Studierenden haben in der Regel schon vor ihrer letzten Prüfung einen Job sicher.“

Gerhard Schmitz, war einer der Gründungsprofessoren der damals Technischen Fakultät an der Universität Rostock und Professor für Strömungslehre. Es waren verschiedene praxiserprobte Wissenschaftler aus dem Schiff- und Flugzeugbau, die nach Rostock kamen und 1951 die erste ingenieurwissenschaftliche Fakultät an einer klassischen Universität in Deutschland gründeten.

Anfänglich wurden Diplomingenieure für Schiffbau, Maschinenbau und später auch für Elektrotechnik ausgebildet. 1960 wurde der Studiengang Angewandte Mechanik aufgelegt, der sich in besonderer Weise um die vertiefte mathematisch-naturwissenschaftliche Ausbildung von Diplomingenieuren kümmerte und auch den Weg zur Grundlagenforschung ebnete. Auch Professor Klaus-Peter Schmitz, der Sohn von Professor Gerhard Schmitz, heute Direktor des Instituts für ImplantatTechnologie und Biomaterialien e.V., hat an der Universität Rostock Maschinenbau studiert. Heute sagt er: „Ich bin stolz auf diese Ausbildung.“ Später führte sein Lebensweg in die technische Mechanik, den Schiffbau und die Medizintechnik. 1990 wurde Klaus-Peter Schmitz zum Professor für Biomedizinische Technik berufen. Er hat eine Fakultätsmitgliedschaft in der Medizin und an der Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik. Natürlich sei er noch heute der Fakultät „treu ergeben“, beklagt allerdings „den Bauzustand, der von der Landesregierung in M-V auf deutschen Standard angehoben werden muss, um so die Attraktivität für die Studierenden zu steigern und eine Verbesserung der Forschungsmöglichkeiten zu erreichen“. Denn die Ingenieurwissenschaften, so Schmitz, würden „die entscheidenden Fragen des Lebens mitzugestalten haben wie Verkehr, Energie, Umwelt, Mobilität, Gesundheit und Wohnen bis hin zu Ernährung. Wir sollten gemeinsam stolz auf die langjährige und segensreiche Tätigkeit unserer Fakultät zurückschauen, die für den Industriestandort M-V im wahrsten Sinne des Wortes ein Kronjuwel ist“, unterstreicht Professor Schmitz.
 

Rostock ist heute ein wichtiges Industriezentrum in Mecklenburg-Vorpommern geworden. „Da stecken wir überall drin“, formuliert Professor Buchholz und meint damit, dass in den Leitungsebenen und Entwicklungsetagen so wichtiger Betriebe wie Liebherr, Nordex oder den Werften Absolventen und Absolventinnen der Fakultät verantwortungsvolle Positionen bekleiden. Buchholz beobachtet übrigens einen neuen Trend. Verstärkt würden Absolventen spannende und gutbezahlte Jobs in der Region suchen und auch finden. Gerade in der jetzigen Phase der Energiewende und den damit verbundenen Herausforderungen sei die Fakultät ein wichtiger Player. Unternehmen würden interdisziplinär ausgebildete Ingenieure brauchen, die in der Lage seien, grundlegende neue Lösungen und Systemansätze zu entwickeln. „Nur so können unsere Unternehmen kurzfristig umwelt- und klimafreundliche Produkte und Herstellungsprozesse an den Start bringen.“

Das bestätigt Klaus-Jürgen Strupp, Präsident der IHK zu Rostock. „Die positive Entwicklung des Industriestandorts Rostock nach der Wiedervereinigung ist an unzählbaren inhaltlichen und personellen Schnittstellen mit den Ingenieurwissenschaften der Universität Rostock verbunden.“ Qualifizierte Ingenieure seien heute in ganz Deutschland Mangelware. Auch M-V sei davon stark betroffen. „Und die Lücke wird größer“, blickt der IHK-Präsident voraus. „Studien der IHK-Organisation verdeutlichen, dass Ingenieure derzeit zu den gefragtesten und knappsten Berufsgruppen im gesamten Arbeitsmarkt gehören.“ Der politische Fokus müsse neben der Förderung der Industrie auch auf die Stärkung des Wissenschaftsstandortes gerichtet sein. „Die Industrie braucht auch in Zukunft gut ausgebildete Ingenieure für ihre erfolgreiche Entwicklung“, sagt Strupp. Aus Sicht der IHK zahlen sich Investitionen in die universitäre Ausbildung von Maschinenbau- und Elektrotechnikingenieuren aus. „Die Unternehmen stehen vor riesigen Aufgaben wie dem Fachkräftemangel. Wir brauchen deshalb interdisziplinär gut ausgebildete Ingenieure für die Zukunft, die die wichtigen Prozesse in unserem Land erfolgreich unterstützen. Das wird ein entscheidender Faktor sein, um die Chancen des Landes und unserer Industrie, z.B. m Rahmen der Energiewende, auch wirklich nutzen und umsetzen zu können.“

Mit den 21 Lehrstühlen wird die Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik bundesweit und auch international wahrgenommen. Beispielsweise wird mit Hochdruck an neuen Antriebstechniken geforscht, um Schiffsantriebe CO2-neutral und somit klimafreundlich zu entwickeln.

Der Lehrstuhl für Meerestechnik unter Leitung von Professor Sascha Kosleck bedient beispielsweise eine Vielzahl unterschiedlicher Forschungsthemen, hauptsächlich im Bereich der Unterwassertechnologie. Hier rücken in den nächsten Jahren verstärkt Projekte im Rahmen des in Rostock neu angesiedelten Zukunftsclusters Ocean Technology Campus (OTC) in den Fokus. Dabei geht es um die Evolution neuester Unterwassertechnologie, von Sensorik über Sensorträgerplattformen bis hin zu neuartigen, vollautonomen Fahrzeugen für den Offshoreeinsatz. Beispielhaft dafür stehe das Projekt OTC-BASE, sagt Professor Kosleck. Das Projekt stellt im ersten Ansatz eine am Meeresboden installierte modular aufgebaute Infrastruktur dar, die in späteren Entwicklungsstufen durch mobile Systeme ergänzt wird. Mit OTC-BASE werden bislang fehlende Unterwassertechnologien entwickelt und bis zur vorindustriellen Produktreife begleitet. Dabei geht es um Systeme zur Energiespeicherung, -wandlung und -übertragung, Unterwasserkommunikationseinheiten, Systeme zur Datenspeicherung sowie zum Datentransfer, aber auch um autonome oder teilautonome Systeme bis hin zu Basistechnologien für die Nutzung künstlicher Intelligenz in Unterwasseranwendungen.

Der Wurzel der damaligen ingenieurwissenschaftlichen Fakultät entsprungen ist auch die heutige Fakultät für Informatik und Elektrotechnik mit der Fachrichtung Schiffselektrotechnik. Daraus ist längst die Fakultät für Informatik und Elektrotechnik geworden. Mit sechs Elektrotechnik- und zwei Informatik-Instituten, wie Dekan Professor Mathias Nowottnick betont. Vier internationale Studiengänge sind in englischer Sprache studierbar. Heute ist die Fakultät mit allen anderen Fakultäten und Wissenschaftsgebieten der Universität Rostock in Forschung und Lehre stark vernetzt. Besonders stolz ist Professor Nowottnick auf den Sonderforschungsbereich Elaine, den einzigen in Mecklenburg-Vorpommern. Es werden neuartige, elektrisch aktive Implantate entwickelt, die für die Regeneration von Knochen und Knorpel eingesetzt werden, sowie Implantate für die Tiefe Hirnstimulation, um Bewegungsstörungen zu behandeln.

Uni-Rektor Professor Wolfgang Schareck sagt: „Dürfte ich mir zum 70. Geburtstag etwas wünschen für die beiden aus dieser ersten gemeinsamen Fakultät entwickelten Fakultäten (Maschinenbau und Schiffstechnik und Informatik und Elektrotechnik), dann wären das zeitgemäße und geräumige Forschungs- und Lehrflächen, die uns wettbewerbsfähig mit anderen Hochschulen halten und als Partner auf Augenhöhe mit Industrieunternehmen in der konstruktiven Zusammenarbeit.“ In einer Universität erstmalig eine ingenieurwissenschaftliche Fakultät einzurichten, das sei 1951 eine weitblickende und großartige Tat gewesen, „auf die ich für die Universität Rostock stolz bin“. Die Fakultät, so der Rektor, förderte für diese anwendungsnahen Wissenschaftsgebiete die erforderliche Grundlagenforschung und eröffnete insbesondere mit ihrer Inter- und Transdisziplinarität neue innovative Wissenschaftsgebiete, wie beispielsweise die Medizintechnik, die Medizininformatik, aber auch mit den Geistes- und Kulturwissenschaften die Technikethik. „Passend zur aufstrebend florierenden Wirtschaftsregion Rostock sowohl mit der Motorenforschung, dem Schiffbau, der Energietechnik und der Logistik als aber auch besonders mit der Informatik und Elektrotechnik tragen beide Fakultäten maßgeblich zum Transfer in die Wirtschaft bei und sind ein entscheidender Wirtschaftsmotor für unsere Region und unser Land“, unterstreicht der Rektor. „Im Verbund mit in Folge angesiedelten außeruniversitären Forschungsinstitutionen insbesondere der Fraunhofer Gesellschaft, dem Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik und dem Institut für Graphische Datenverarbeitung erleben wir neue große Projekte wie den Ocean Technology Campus oder Smart Farming und Anwendungsforschung für die Nutzung von Wasserstoff.“ Text: Wolfgang Thiel

Kontakt:
Prof. Dr.-Ing. Bert Buchholz
Universität Rostock
Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik
Tel.: +49 381 498-9150
Mobil: +49 163 3240 590
www.lkv.uni-rostock.de

 


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